Streifenkelims in Anatolien

Streifenkelims in Anatolien

streifenkelim
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Streifenkelims.... lange wurden sie von den Liebhabern Anatolischer Kelims übersehen.

Großformatige und großgemusterte Kelims, darauf fiel der Blick zuerst. Auch mittelformatige und kleinformatige gemusterte Kelims wurden bewundert, aber Streifenkelims?

Wir wissen von Besuchen in anatolischen Häusern und Zelten, dass Streifenkelims dem täglichen Gebrauch dienen. Auch heute sieht man noch in den Wohnungen die Stapel mit dem ordentlich beiseite geräumten Bettzeug, die mit einem gestreiften Textil bedeckt sind. Im ländlichen Raum finden wir besonders im Frühjahr und Sommer vor den Häusern im Dorf einfache naturfarbene gestreifte Kelims aus Wolle, Baumwolle und Ziegenhaar, mit denen die geernteten Früchte der Felder und Gärten vor der starken Sonne geschützt werden, oder die als provisorische Wände und Türen in den Ziegen- und Schafställen Verwendung finden. Scheinbar haben gerade jene Kelims, deren Gebrauchswert im Vordergrund stand, ihren Platz im täglichen Leben der anatolischen Bevölkerung behauptet, während die auch in der Herstellung aufwendigeren gemusterten Kelims längst aus den Häusern verschwunden sind. Immerhin fanden die großgemusterten Textilien früherer Zeiten Eingang in Sammlungen und Museumsbestände, so dass diese textile Kultur einigermaßen gesichert, dokumentiert und bewahrt ist.

Streifenkelims, vor allem ungemusterte, sind dagegen eine Seltenheit in den Sammlungen sowohl der türkischen Museen als auch der privaten Sammler und Museen weltweit.

Dabei können wir davon ausgehen, dass genauso wie beim großgemusterten Kelim, auch beim Streifenkelim jede Gruppe, Sippe oder Familie eine eigene Variante webte. Die Unterscheidungsmerkmale sind hier jedoch subtiler als bei Kelims mit reicheren Mustern und komplexer Gestaltung.

Auf dem Gebiet der Streifenkelims droht in noch viel gravierendem Maße als bei großgemusterten Exemplaren das Wissen über Herkunft, Verwendung und Bedeutung verloren zu gehen. Und doch lassen sich an Hand verschiedener Merkmale wie Farb- und Materialcharakteristik, sowie Webeigenheiten und Farbrhythmus Zuordnungen treffen.

Zur Klassifizierung von Streifenkelims:

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Mit dem Begriff Kelim verbindet man in der Regel den großgemusterten, gewirkten(*) Schlitzkelim.
Streifenkelims und gemusterte Streifenkelims sind aber durch diese Definition nicht hinlänglich erfasst. Technisch gesehen gehören die reinen Streifenkelims, also Kelims ohne jegliches Muster innerhalb der Streifen, zu den gewebten(**) Textilien. Die gemusterten Streifenkelims sind Textilien in Mischtechnik, also in gewebter und (zusätzlich) gewirkter Technik. Gewirkte Streifen mit Muster wechseln sich ab mit gewebten Streifen, bei denen der Muster- oder Schussfaden ohne Unterbrechung von Webkante zu Webkante verläuft (also ohne Längs- oder Seitenbordüre). Diese beiden Kriterien sind entscheidend für eine Einordnung in die Kategorie der Streifenkelims. Hinzu kommen noch Kelims, deren Streifen zusätzlich mit lancierten (flottierenden) Schüssen oder anderen Broschierungstechniken gestaltet sind. (*)wirken: der Schussfaden wird nicht durch die ganze Kette geschoben, sondern nur dort, wo eine Farbe im Gewebe auftauchen soll.(**)weben: der Schussfaden durchläuft immer die ganze Kette.

 

Ganz selten finden wir Streifenkelims, bei denen diese Techniken dominant  oder sogar musterbildend sind (siehe Detail unten).

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Die regionale Herkunft von Streifenkelims ist schwieriger zu bestimmen, als die von großgemusterten Kelims, da die Motive und der formale Aufbau als Ordnungs- und Unterscheidungsmerkmale fehlen.

Bei den gemusterten Streifenkelims sind die Motive der Musterung nur mit Einschränkung zur Bestimmung der Herkunft geeignet. In einigen Fällen gibt es dort Muster und Motive, wie sie auch in den Trennstreifen sowie in den Abschlussstreifen und Schmalbordüren von großgemusterten Kelims der gleichen Region vorkommen. Andere Motive sind über ganz Anatolien verbreitet. Wieder andere Motive sind einem Stamm oder nur einer Gruppe oder Familie zuzuordnen.

Ein weiteres Merkmal zur Ermittlung der Herkunft ist das verwendete Material, wie Wolle, Baumwolle, Kamelhaar oder Ziegenhaar bei Kett- oder Schussfäden. So weist die Verwendung von Ziegenhaar in Kette oder Schuss auf eine mögliche Entstehung im südwestlichen Taurus, mit einer besonderen Konzentration auf das Gebiet Mut / Ermenek hin. Kamelhaar in Kett- oder Schussfäden weist häufig auf eine Herkunft aus dem Großraum Karapınar hin. Da jedoch auch die Saçikara-Nomaden aus dem Gebiet um Isparta / Burdur (Westanatolien) und südlich von Konya (Zentralanatolien) Kamelhaar in ihren Streifenkelims verwebten, muss man zur Unterscheidung darüber hinaus die charakteristischen Farben und die Verwendung einiger typischen Motive heranziehen. Der südliche Taurus kommt ebenfalls als Herkunftsgebiet in Frage für Streifenkelims, bei denen Kamelhaar verwebt wurde. Hier ist die Unterscheidung zu anderen Herkunftsgebieten auch wegen der charakteristischen Farben bei der gefärbten Wolle relativ einfach.

Die Verwendung von Baumwolle in den Kettfäden weist häufig auf eine Entstehung in Westanatolien (Çal, Helvaçı, Dazkırı) hin. Größere Mengen von Baumwolleinträgen als Schussfäden weisen auf den ostanatolischen Bereich um Malatya und Sivas, oder den Bereich Reyhanlı im südlichen Zentralanatolien hin. Aber auch in Westanatolien, im Bereich Afyon, wurde Baumwolle in größeren Partien verarbeitet.

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 Detail: Afyon - Kelim mit Baumwolle

 

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Die Farben sind jedoch die wichtigsten Hilfsmittel für die Bestimmung der Herkunft. Zu Beginn unserer Beschäftigung mit Streifenkelims haben uns die Vergleiche mit den Farben der großgemusterten Kelims die deutlichsten Hinweise auf die Herkunft der Kelims gegeben. Inzwischen ist es umgekehrt: Über unser Farbverständnis, welches wir uns beim Umgang mit den Streifenkelims erworben haben, können wir nun oft die Herkunft von großgemusterten Kelims leichter bestimmen und zwar über die Musterung hinaus. Man kann sogar sagen, dass uns heute die Farbe zusammen mit der Struktur oft mehr über die Herkunft sagt, als das Muster.

Je länger wir uns mit den Farben der Kelims beschäftigten, umso deutlicher wurde uns, dass jede Region typische, unverwechselbare Farbeindrücke erzeugt und auch typische Farbkombinationen und Einzelfarben hat.

So steht zum Beispiel ein bestimmtes Gelb, oder auch ein größerer Anteil von Gelb oder Apricot für eine Herkunft aus dem kappadokischen Raum. Bestimmte rote und blaue Farbkombinationen stehen für eine kurdische Herkunft. Andere rote und rotblaue Farbkombinationen stehen für die Herkunft aus Westanatolien, zum Beispiel der Yüncü oder Karakeçili-Nomaden.

Eine ganz eigene und charakteristische Farbpalette gibt es im Taurus-Bereich, in der Konya - Region und im Siedlungsgebiet der Aydınlı - Nomaden in Westanatolien.

Auch dem Karaman-Gebiet lassen sich einige spezielle Farbtöne, zum Beispiel ein charakteristisches Braunrot, zuordnen (siehe Detail oben).

Eine weitere Besonderheit ist uns bei Karapınar-Streifenkelims aufgefallen: Hier sind die ungemusterten Felder zwischen den Musterstreifen teilweise auffallend breiter. Bei dieser speziellen Gruppe von Kamelhaar-Kelims soll damit sicherlich die Bedeutung der Stücke hervorgehoben werden.

 

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Rhythmus und Anordnung der Streifen:

Auch hier gibt es eine Vielzahl regionaler Besonderheiten, die uns heute bei der Bestimmung der Herkunft helfen. Diese alle aufzulisten, führt sicher an dieser Stelle zu weit. Deshalb hier nur exemplarisch eine Auffälligkeit in ungemusterten Streifenkelims aus Kappadokien.

Fast nie finden wir hier eine symmetrische Farb-Anordnung. Eine auf den ersten Blick regellose Gliederung zwischen Farbfeldern und -streifen zeigt sich auf den zweiten Blick und bei genauerem Hinsehen als wohldurchdachte und immer wiederkehrende Komposition: Auf dem Grund eines breiten Farbstreifens liegen zwei oder mehr dünne andersfarbige Streifen. Das Prinzip ist, dass die Grundfarbe über die dünnen Streifen hinwegreicht. In dieser Eindeutigkeit finden wir diese Anordnung in Streifenkelims anderer Herkunft nicht.

 

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Gemusterte Streifenkelims

Diese Kelimgruppe wurde lange Zeit stiefmütterlich behandelt. Die Schwierigkeiten, qualitätsvolle Streifenkelims zu finden, wurden bereits in „Kelim, Textile Kunst aus Anatolien" beschrieben (Aachen 2002, Seiten 26 / 27. ISBN: 3-926779-78-0). Sie wurden im täglichen Gebrauch restlos verschlissen und dann weggeworfen. Wurden vor zehn Jahren noch die Anforderungen an Bedeutung und Qualität von Anatolischen Streifenkelims teilweise nach unten korrigiert um überhaupt Beispiele zeigen und sammeln zu können, dürfen wir heute aus einem relativ großen Angebot sammlungswürdiger Kelims schöpfen. Mit ihrer Veröffentlichung ist jedoch noch längst nicht die Wissenslücke geschlossen, die eine jahrzehntelange Ignoranz in der Beachtung von Streifenkelims bewirkt hat. Immer noch muss auf Grund der kleinen Anzahl der erhaltenen und gesammelten Stücke der Eindruck entstehen, dass Streifenkelims in geringerer Anzahl gewebt wurden als ihre großgemusterten Verwandten. In Wahrheit verhält es sich genau umgekehrt: Eine ungleich größere Menge Streifenkelims stand in früherer Zeit den aufwändigeren großgemusterten Kelims gegenüber.

Die besten Stücke verfügen über eine Ausstrahlung, die eine unterstellte geringere Bewertung seitens der Weberinnen und ihrer Familien ad absurdum führt. Der gemusterte Streifenkelim erfüllte teilweise die gleichen Funktionen, wie sie den sogenannten Kultkelims zugesprochen werden, bei der Beerdigung, bei großen Festen und bei anderen familiären Ereignissen: Er war der Stolz der Familie und wurde präsentiert als Ausdruck der Geschicklichkeit und des Schönheitssinns der Weberin. Darüber hinaus gaben die von der Weberin eingearbeiteten Zeichen und Symbole auch Hinweise auf die eigene Herkunft und Abstammung. Er wurde aus allen diesen Gründen auch der Moschee gestiftet.

 

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Ungemusterte Streifenkelims

Fast alle grundsätzlichen Aussagen zu den gemusterten Steifenkelims müssten hier wiederholt werden. In den beiden Ausstellungen zu o.g. Buch, im Textilmuseum Krefeld 2002 und in der Pfalzgalerie Kaiserslautern 2003, wurde eine große Anzahl gemusterter und ungemusterter Streifenkelims gezeigt, die bei den Besuchern große Beachtung fand. Erstmals konnten hier teilweise den großgemusterten Kelims die entsprechenden Streifenkelims zugeordnet werden.

Generell gilt für die meisten sammlungswürdigen Streifenkelims, dass ihnen die Weberinnen mit dem großen Aufwand sowohl beim Färben, als auch bei der Fertigung, sicher den gleichen hohen Rang wie allen anderen gemusterten Kelims beigemessen haben. Es handelt sich immer um autonome Schöpfungen in bester Tradition, die ihre Wirkung sowohl aus dem Rhythmus und der meisterhaften Kombination der Farben, als auch aus der kunstvollen Anordnung verschieden breiter Streifen oder Felder beziehen.

Galerie mit Streifenkelims

 

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