Kamelhaar in Anatolischen Kelims

Kamelhaar in Anatolischen Kelims

1
1

Noch vor vierzig Jahren waren Kamele im ländlichen Straßenbild Anatoliens keine Seltenheit. Sie waren das alleinige Transportmittel für die Lasten der Nomaden und Halbnomaden auf ihren Wanderungen im jährlichen Rhythmus. Darüber hinaus mussten sie auch die Transporte zu den Orten und Behausungen bewältigen, die mangels ausreichender Straßen von Lkws nicht befahren werden konnten. Heute sieht man Kamele fast nur noch an touristischen Plätzen als Attraktion. Traktoren und geländegängige Fahrzeuge, sowie große Veränderungen in der Infrastruktur haben die Tiere überflüssig gemacht, die über ihren ausgezeichneten Nutzen hinaus als Symbol für Reichtum und Status galten.

 

7

7
Im Frühjahr 2001 besuchten wir nördlich von Antalya eine Nomadenfamilie in ihrem Winterquartier. Diese halbnomadische Familie aus dem südlichen Taurusgebirge berichtete, dass sie im Winter 1966/67 ihre letzten Kamele abgeschafft habe.
Seitdem bewältige sie den Transport (auch ihrer Herden) zu den Sommerweiden und zurück mittels Lkws und Traktoren.






8

8

Die relativ wohlhabende und angesehene Familie besaß ca. 600 Ziegen. Mit anderen Familien zusammen bildete sie nach eigenen Angaben einen Verband von ca. 100 Zelten, die zu einem Lager zusammengezogen waren.
Ihre Biografie ist charakteristisch für andere Nomadenfamilien, wenn auch der Zeitpunkt der Aufgabe des Einsatzes von Kamelen um plus / minus 10 Jahre variieren dürfte.

 

 

 

 

 

Die Kelims

 

Tafel8

Tafel8

 Aus allen Gegenden Anatoliens in denen Kamele gezüchtet wurden, sind auch Kelims bekannt, in denen Kamelhaar verwebt wurde.

Man könnte dies mit der Sparsamkeit der Menschen begründen, die das sowieso Vorhandene selbstverständlich auch in ihren Erzeugnissen verarbeiten. Tatsache ist jedoch, dass die Verwendung von Kamelhaar in Kelims eher als Besonderheit und Ausnahme gilt, im Vergleich zur großen Anzahl anatolischer Kelims aus Schafwolle.

Außerdem sind praktische Gründe nicht stichhaltig. Kamelhaar ist einerseits weniger strapazierfähig als Wolle, andererseits eignet es sich wegen seiner natürlichen Grundfarbe schlecht oder gar nicht zum Färben. (Zum Färben wird in der Regel weiße Schafwolle verwendet, die Farben viel besser aufnimmt) Auch ist eine leichte Verfügbarkeit nur theoretisch vorhanden, da Kamelhaar traditionell durch das Sammeln und Zupfen der losen Körperhaare aus dem Fell gewonnen wird. *)

Dieser vergleichsweise mühsame Prozess erbringt maximal ca. 3 kg Haar unterschiedlicher Qualität pro Jahr und Kamel. Nach Reinigung und Aussortieren der unbrauchbaren Grannenhaare verbleiben nur 1 bis 2 kg verwendbares Material. Im Vergleich hierzu ergibt das Scheren eines Schafes durchschnittlich 3 kg Wolle guter Qualität.

 

 *) Nach Berichten wurden früher allerdings auch die Kamele geschoren. Es wurden teilweise regelrecht „Wollkamele" zu diesem Zweck gehalten.

 

 

 

 

 

 

 

 

Kelimhälfte der Saçikara – Yürüken , westliches Zentral-Aanatolien (Kelim – Textile Kunst, Aachen 2002, Tafel 8)

 

Tafel7
Tafel7

Es stellt sich also die Frage, warum Kamelhaar überhaupt in anatolischen Kelims zu finden ist, zumal frühe Kelims ansonsten eher für die Farbintensität und Farbsättigung ihrer Naturfärbungen bekannt sind.

Um eine intensive Farbe mit Naturfarben zu erzielen, benötigt man möglichst saubere, weiße Wolle. Jede Vorfärbung des Rohmaterials hat negative Auswirkungen auf den später erzielten Farbton.
Wir finden deshalb Kamelhaar in den meisten Fällen auch nur in ungefärbtem Zustand in anatolischen Kelims. Am häufigsten wurde Kamelhaar in Streifenkelims verarbeitet. Streifen mit ungefärbtem Kamelhaar und weißer, sowie gefärbter Schafwolle, häufig auch mit Mustern versehen, wechseln sich ab.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kelimhälfte aus der Gegend um Isparta, westliches Zentral-anatolien (Kelim – Textile Kunst, Aachen 2002, Tafel 7)

 

Tafel32
Tafel32

Hier wird Kamelhaar wegen seiner besonderen Wirkung verwendet.
Niemals wirkt ein Gewebe aus naturfarbenem Kamelhaar langweilig. Selbst wenn das Material vor dem Verspinnen farblich sortiert wurde (die untere Schürze ist aus sortiertem, hellerem Kamelhaar gewirkt), bleibt durch zum Teil bewusst herbeigeführte Farbvariationen ein lebendiger Charakter.

Jedoch erst bei genauem Hinsehen erschließt sich das eigentliche Geheimnis: Kamelhaar hat eine andere Struktur als Wolle, einen sanfteren, milderen Glanz, eine Wärme und Weichheit, die sich auch optisch vermittelt. Durch diesen sanfteren Glanz erreicht eine mit Kamelhaar gewebte Partie eine Verstärkung der benachbarten glänzenden eingefärbten Schafwolle. Dies ist ein Effekt, den naturbraune oder braun eingefärbte Schafwolle so nicht erzeugen kann, da sie nicht diesen Kontrast bewirkt.
Wir gehen deshalb davon aus, dass dieser Effekt ganz bewusst als Mittel der Gestaltung eingesetzt wurde. Sonst wäre die Verwendung von naturbrauner oder braun gefärbter Schafwolle der einfachere und sinnvollere Weg gewesen. Immer absolut überzeugend in der Wirkung sind Kamelhaarkelims wie der hier abgebildete Kelim, die als großgemusterte Stücke über eine ganz eigenständige Gestaltung verfügen. Vor Allem diese Stücke, aber auch die hervorragenden Streifenkelims einiger Regionen, schließen endgültig die Vermutung aus, bei Kamelhaarkelims könnte es sich um einfache oder unbedeutende Stücke handeln. Die relative Seltenheit, und - bei gelungener Gestaltung - die eigentümliche Ausstrahlung des Materials heben Kelims aus Kamelhaar heraus aus der relativ großen Zahl sammlungswürdiger Exemplare aus Schafwolle.

 

 

 

 

 

Kelim aus der Region um Konya, Cumhuriet, in Zentralanatolien (Kelim – Textile Kunst, Aachen 2002, Tafel 32)

 

HINWEIS!
Diese Seite nutzt ausschließlich Session-Cookies, die beim Verlassen der Seite gelöscht werden. Daten Ihres Besuches werden nicht gespeichert oder weitergegeben.
Sofern Sie die Browsereinstellungen nicht ändern, stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu.